Seit einigen Wochen stößt man an vielen Stellen der Innenstadt auf Plakate gegen „aggressives Betteln“. Sie sind Teil einer Kampagne der Konstanzer Stadtverwaltung, mit der Menschen aus dem Stadtbild verbannt werden sollen, die ihr Leben durch Betteln fristen müssen. Mit Flyern und Plakaten, heißt es dazu aus dem Rathaus, erkläre man, „welche Formen des Bettelns erlaubt und welche verboten sind“. Zudem gingen die Stadtbehörden in Zusammenarbeit mit der Polizei durch verstärkte Kontrollen „gegen das aufdringliche und bandenmäßig organisierte Betteln“ vor. Städtische und polizeiliche Ordnungskräfte hätten darüberhinaus mit der Räumung von Lagern begonnen, in denen die ins Visier genommenen Menschen Unterkunft finden.
Als „aggressiv“ gilt der Verwaltung dabei schon, wer eine Person anspricht oder auf sie zugeht. Schon im Mai hatte Oberbürgermeister Uli Burchardt die Öffentlichkeit auf die Kampagne eingestimmt. So verstieg er sich etwa zu der Aussage, wer Bettler*innen Geld spende, verschärfe das Problem noch. Ziel sei es, konkrete Hilfestellungen zu erarbeiten, „wie sie (die Bürger) persönlich mit dem Thema betteln umgehen beziehungsweise wie sie sich verhalten können“. Ärgert sich das Stadtoberhaupt, dem vermutlich die Geschäftswelt in den Ohren liegt, etwa, dass die meisten Leute sich an den bettelnden Menschen kaum stören oder sogar Geld geben.
Ein zynisches Handeln, das Abscheu erregen muss. Nicht gesellschaftliche Zustände, die Menschen zum Betteln zwingen, skandalisieren die wohlbestallten Stadtfunktionäre, sondern deren schwächsten Opfer. Die Menschen, die der entfesselte Kapitalismus mittlerweile auch in seinen europäischen Stammländern in wachsender Zahl ins soziale Aus befördert, gelten ihnen offenbar nur als hässliche Flecken auf dem herbeihalluzinierten Hochglanzbild vom (Einkaufs-)Paradies Konstanz. Nach bekanntem Muster bekämpft man deshalb die Armen und nicht, wie es die eigentliche Aufgabe verantwortungsbewußter Stadtpolitik sein müsste, den gesellschaftlichen Skandal der Armut.
Um dieser schlechten Sache Nachdruck zu verleihen, greifen die Verantwortlichen auf unbewiesene Behauptungen zurück, wonach etwa oft organisierte Bettelbanden zu Werke gingen, denen anschließend „Hintermänner“ das Geld abnähmen (nebenbei: im Wirtschaftsleben nennt man sowas Firma). Beweise für diese seit Jahren landauf, landab kolportierten Vorwürfe kann die Verwaltung allerdings nicht vorlegen.
Das abstoßende Vorgehen der Stadtverwaltung war für die Linke-Liste-Stadträtin Anke Schwede Anlass, der Verwaltung schriftlich kritische Fragen zu dieser Kampagne zu stellen. Der Wortlaut:
„Wir bitten im Zusammenhang mit der Plakatkampagne der Stadt Konstanz gegen sogenanntes aggressives Betteln um die Beantwortung folgender Fragen:
Erstens: Welche Definition aggressiven Bettelns legt die Stadt bei ihrem Vorgehen gegen bettelnde Menschen zugrunde? Die in der Stadt dargestellten Plakate zeigen, dass schon das körpernahe Ansprechen vorbeilaufender PassantInnen durch einen auf dem Boden sitzenden Bettler verboten ist. Ebenfalls aggressiv ist demnach aus Sicht der Stadt Betteln, wenn eine Bettlerin ein Kind auf dem Schoß hält. Ohne eine nachvollziehbare Definition von verbotenem Betteln legen die Plakate aber eine Pauschalverurteilung sämtlicher BettlerInnen nahe. Denn nicht die BettlerInnen selbst sind in Konstanz das Problem, sondern die Umstände, durch die Menschen zu mitunter zweifelhaften Methoden gezwungen werden, ihr Überleben zu sichern.
Zweitens: Wie viele BettlerInnen wurden von Polizei und Ordnungsdienst kontrolliert und geahndet? Welche Strafen wurden ausgesprochen?
Drittens: Welche handfesten polizeilichen Beweise liegen vor, dass in Konstanz Betteln bandenmäßig organisiert ist?
Viertens: Wie viele Schlaflager von bettelnden Menschen wurden aufgelöst und wie will die Stadt sicherstellen, dass nicht auch „stille“ BettlerInnen von dieser Maßnahme betroffen sind?“
Antwort auf diese Fragen hat der Oberbürgermeister für die nächste Gemeinderatssitzung am 19. Juli in Aussicht gestellt. Es wäre wünschenswert, wenn die Rät*innen dabei nicht unter sich blieben. Gegen die städtische Anti-Bettler*innen-Kampagne macht inzwischen erfreulicherweise auch eine Gruppe von Aktivist*innen mobil, die breite Unterstützung verdient hat. Den Rechtsruck der Gesellschaft erleben wir auf vielen Politikfeldern. Die zynische Verwaltungs-Kampagne ist eines davon.
jüg
Die Stadt Konstanz hat es unterlassen, ihre Kampagne hinreichend zu differenzieren. Bei einem solch heiklen Thema kann und darf nicht der Eindruck entstehen, Verwaltung und Öffentlichkeit stellten sich gegen die Ärmsten der Gesellschaft. Wer betteln muss, findet sich oft am Rande der Gesellschaft wieder – obwohl jeder Bettler die Aufmerksamkeit, die Hinwendung und die Fürsorge unseres zivilen Miteinanders verdient hätte.
Ich selbst habe erlebt, dass in Konstanz auch aggressives Betteln vorkommt. Oft lässt sich das bandenmäßige Einfordern von Geld unter Vortäuschung falscher Tatsachen gut von dem Betteln unterscheiden, das wir als Gesellschaft nicht nur verteidigen, sondern das wir durch eine sinnvolle Armutspolitik beenden sollten. Denn in einem reichen Land wie der Bundesrepublik sollte niemand auf der Straße sein Dasein fristen müssen, sollte niemand vom Geldbeutel Anderer abhängig sein.
Statt nun gegen ein „aufdringliches Betteln“ zu wettern, von dem niemand genau weiß, was die Verwaltung darunter zu verstehen vermag, hätte die Stadt die Pflicht, sich denen zuzuwenden, die ersichtlich friedlich und ohne jegliche Aufdringlichkeit um das Nötigste für ihren Alltag kämpfen. Armut ist eine Schande – wer betteln muss, bedarf unserer raschen Hilfe.
Ich schäme mich dafür, dass die Plakataktion der Stadt Konstanz in der Lage ist, eine Stigmatisierung bettelnder Menschen zu befördern. Wir brauchen kein schönpoliertes Stadtbild, das die Wirklichkeit ausblendet. Armut gehört heute leider stärker denn je zur gesellschaftlichen Wahrheit unseres Landes dazu. Dieser Tatsache sollten wir ins Auge blicken, auch beim Bummeln entlang der Schaufenster.
Welche Dekadenz zeigt sich im Anspruch manches Bürgers, auf seinem Weg durch Konstanz‘ Gassen verschont zu bleiben von den Alltagsgeschichten der Menschen, die dringender denn je auf Unterstützung angewiesen sind. Zum Leben gehören auch diejenigen Facetten hinzu, die wir gerne verschämt ausblenden würden, weil wir den Missstand der Schere aus Armut und Reichtum innerlich kaum ertragen können.
Der Stadt sei empfohlen, sich für diejenigen einzusetzen, die sich genötigt sehen, im Betteln ihre Existenz zu sichern. Eine Initiative für die Integration von bettelnden Menschen, darin wäre mancher Euro sinnvoller investiert als in Schaubildern, die Bettler verunglimpfen. Verteufeln wir nicht die, die allein um ihres Daseins willen um eine Gabe bitten, helfen wir denen aus der Kriminalität, die sich haben instrumentalisieren lassen, aus Not und Ungerechtigkeit heraus.
Ja, auch ich habe mich schon beschwert, wenn aggressives Betteln gar in Handgreiflichkeit ausuferte. Zweifelsohne: Es gibt eine Grenze des Bettelns, die wir aufzeigen müssen. Die aus Gründen der Ordnung und der Integrität jedes einzelnen Bürgers nicht hingenommen werden kann. Doch auch hier gilt: Nach dem Ahnden, da braucht es ein Hingucken. Denn niemand bettelt gerne, keiner sollte Bittsteller sein.
Lieber Dennis,
du findest einen kurzen Beitrag zum Thema im aktuellen Amtsblatt. Leider ist unser Platz auf 1250 Zeichen beschränkt, da es hier wie auch beim Rederecht im Gemeinderat LEIDER nach Proporz geht. Ich lasse dir die ausführliche Antwort vom Bürgeramt auf unsere Anfrage zukommen. Das fragliche Vorgehen basiert nach eigenen Angaben auf §14 „Öffentliche Belästigungen“ der Umweltschutz- und Polizei-Verordnung der Stadt Konstanz. M. E. sind nicht alle Maßnahmen der Stadt dadurch abgedeckt, wir überlegen uns daher weitere Schritte.
Viele Grüße, Anke