Einstimmig hat der Konstanzer Kreistag bei seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause am 23.7. einen Antrag der LINKEN angenommen, der den Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) auffordert, „allen Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit – unabhängig von ihren Herkunftsländern – ein Bleiberecht zu erteilen“. Die LINKE-Kreisrät*innen Anke Schwede und Hans-Peter Koch hatten eine Initiative von mehr als 90 baden-württembergischen Unternehmen aufgegriffen.
In der Diskussion über den Antrag der Linkspartei hatten der Konstanzer OB Uli Burchardt (CDU) und Birgit Homburger (FDP) Einwände gegen einige Formulierungen in der Antragsbegründung erhoben und eine Verschiebung der Entscheidung auf eine Sitzung nach der Sommerpause gefordert. Nach dem Vorstoß von Landrat Frank Hämmerle (CDU), allein den ersten Satz des Resolutionstextes zur Abstimmung zu stellen, war der Weg für die Verabschiedung der Resolution frei. Wir dokumentieren den Redebeitrag, in dem Anke Schwede den Antrag begründete, im Wortlaut und veröffentlichen im Anschluss den von der Linken eingebrachten Text.
Der Redebeitrag
„Herr Landrat, werte Kolleginnen und Kollegen, liebes Publikum, der Antrag der Linkspartei richtet den Blick auf die Situation der geflüchteten Menschen in Baden-Württemberg. Aktuell haben sich der Initiative, allen Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit ein Bleiberecht zu erteilen, landesweit bereits über 90 Unternehmen angeschlossen, die rund 2.000 Geflüchtete beschäftigen oder ausbilden.
Darunter die Würth-Gruppe, Vaude-Geschäftsführerin Antje von Dewitz und Trigema-Chef Wolfgang Grupp. Erst Anfang Juni hat auch die Handwerkskammer Ulm in einem Brief an Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) vor erheblichem wirtschaftlichen Schaden gewarnt, wenn Flüchtlinge, die derzeit eine Ausbildung machen, abgeschoben werden. Auch die Vollversammlung der Handwerkskammer Konstanz hat aktuell starke Zeichen für eine Integration von Flüchtlingen in Arbeit und Ausbildung gesetzt und eine Resolution zur ‚Schaffung eines Einwanderungsgesetzes für qualifizierte Zuwanderung und ein generelles Bleiberecht für beschäftigte Flüchtlinge‘ verabschiedet.
‚Die Furcht vor Abschiebung darf das Ausbildungsverhältnis nicht belasten‘, so die Kammer. 216 geflüchtete Menschen sind laut Kammerpräsident Gotthard Reiner in Ausbildung oder haben einen Vertrag für das kommende Lehrjahr unterzeichnet.
Flüchtlinge nehmen niemandem einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz weg. Im Gegenteil: Denn im Handwerk fehlen landesweit 45.000 Fachkräfte, knapp 10.000 Ausbildungsplätze sind nicht belegt. Deswegen fordern Betriebe und IHKs von Innenminister Thomas Strobl ein Bleiberecht für gut integrierte Flüchtlinge, die sie 2015 in ihren Betrieben aufgenommen haben und die mittlerweile unbefristete Verträge haben, also Sozialabgaben und Rentenbeiträge zahlen, jetzt jedoch abgeschoben werden sollen.
Aufgrund dieser eindeutigen Haltung der verschiedenen Akteurinnen und Akteure und dem großen Nutzen für alle Betroffenen, bitten wir Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank.“
Der Antrag
Bleiberecht für Flüchtlinge in Ausbildung und Arbeit
Der Kreistag Konstanz unterstützt die Forderung von über 80 Unternehmern aus Baden-Württemberg an Landesinnenminister Thomas Strobl, allen Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit – unabhängig von ihren Herkunftsländern – ein Bleiberecht zu erteilen und damit die andauernde Rechtsunsicherheit sowohl für die Geflüchteten wie auch für die Unternehmen zu beenden. Dazu gehört, dass die „Drei-plus-Zwei-Regelung“ auf die einjährigen Ausbildungsgänge ausgedehnt wird.
Ein sicherer Ausbildungsstatus für die Flüchtlinge kann nicht solange warten, bis der jahrelange Streit um ein Einwanderungsgesetz geklärt ist.
Begründung:
1.
Im Vergleich zum vorigen Ausbildungsjahr hat sich die Zahl junger Flüchtlinge in einer Lehre auf aktuell 27.000 Azubis fast verdoppelt. 200.000 weitere junge Flüchtlinge würden gerne eine Ausbildung machen oder eine Arbeit aufnehmen. Viele Unternehmen (z. B. Trigema, EnBW, Vaude, Brauerei Clemens Härle) wollen ihnen eine Lehre anbieten, aber ihr unsicherer Status überfordert die Ausbildungsbetriebe. Denn nur anerkannte Asylbewerber und Geduldete können eine Ausbildung machen. Aber selbst Flüchtlinge mit unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen, die Sozialabgaben und Rentenbeiträge zahlen und zu unverzichtbaren MitarbeiterInnen in Unternehmen geworden sind, werden laut Vaude-Chefin Antje von Dewitz zum Schaden der Betriebe abgeschoben.
2.
Ausbildung und Arbeitsverhältnisse für Flüchtlinge sind neben dem Spracherwerb die wichtigsten Pfeiler für eine gelingende Integration. Flüchtlinge tragen zudem dazu bei, die Ausbildungslücke vieler Betriebe zu schließen – der Nutzen für die Gesellschaft ist unverkennbar.
Anke Schwede, Hans-Peter Koch
KreisrätInnen der Partei DIE LINKE
Viel zu oft wird in der Debatte um Flüchtlinge verkannt, welch wichtigen Beitrag die hier Asyl suchenden Menschen für unser aller Dasein leisten. In Zeiten des Demografischen Wandels, unter dem besonders die Unternehmen leiden, die nach Fachkräften suchen, sind zu uns kommende Menschen, die auch nach Ausbildung und Arbeit suchen, ein wahrlicher Segen.
Bis sich die Politik in Deutschland darauf verständigt hat, wie es mit der Einwanderung weitergehen soll und welche Rezepte wir gegen den grassierenden Mangel an bereitwilligen Auszubildenden und Facharbeitskräften anwenden wollen, könnte ein nicht mehr zu stopfendes Loch entstanden sein, unter dem unsere Wirtschaft krankt.
Deshalb hat die LINKE in ihrem Antrag einen völlig richtigen Aufruf zur Hand genommen, der belegt: Selbst die Unternehmen, selbst die Kammern sind es, die nun darauf drängen, die wichtigen Azubis und Arbeitskräfte nicht länger abzuschieben, welche fest integriert in unseren sozialen und ökonomischen Strukturen verankert sind.
Dieser Antrag, der glücklicherweise nicht länger durch einzelne Zwischenrufe nach Veränderung hinausgezögert wurde, ist ein klares Bekenntnis zur Rationalität: Wir wissen um die Sorgen der hiesigen Unternehmen, die dankbar sind für jeden neuen Facharbeiter, der sich qualifizieren lassen möchte oder sofort in die Beschäftigung einsteigen kann. Warum also sollten wir diejenigen wegschicken, die unserem Gemeinwesen guttun, die Lücken füllen und wirtschaftliche wie menschliche Bereicherung sind?
Es darf keine ideologische Verbohrtheit sein, die das zwanghafte Beharren auf Ausweisung über die Vernunft stellt. Wer Geflüchtete allein aus Prinzip abschieben will – und damit riskiert, dass wir damit eine Chance für unseren Arbeitsmarkt vertun, der handelt grob verantwortungslos. Der Kreistag hat Rückgrat bewiesen – ich zolle ihm Respekt dafür!