Kreistag: Haushaltsrede von Sibylle Röth

23. Januar 2022  Kreistag

Lieber Herr Landrat, liebe Anwesende,

Trotz Coronakrise gelingt es, die Kreisumlage stabil und die Nettoneuverschuldung bei Null zu halten. Man kann also das Gefühl haben, nochmal mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Doch auch die Zukunft sieht die Finanzlage bedenklich aus: Corona ist noch lange nicht vorüber, der Zuzug von Flüchteten zieht wieder an und schon davon unabhängig ist in den nächsten fünf Jahren eine signifikante Steigerung sowohl der Verschuldung wie auch der Kreisumlage geplant. Der Krisenmodus wird also weitergehen.

Halten wir jedoch den Haushaltsabschluss 2020 gegen dieses Gefühl des Getriebenseins, entsteht Irritation. Denn er endete mit dem höchsten jemals erzielten Überschuss. War also alle Krisenstimmung umsonst? Natürlich nicht. Der positive Abschluss zeigt vor allem, dass die Coronagelder von Land und Bund angekommen ist. Vor diesem Hintergrund fragt sich aber, was der andauernde Krisenmodus mit uns macht. Denn es geht nicht nur darum, wieviel Geld wir ausgeben, sondern auch, wofür wir Geld ausgegeben – und wofür nicht. Weniger Ausgaben im Sozialhaushalt als geplant, müssen dabei kein gutes Zeichen sein.

Die andauernden Krisen bringen die Gefahr mit sich, in einen Modus zu verfallen, in dem man stets reagiert und nicht mehr gestaltet. Und so sind in den letzten zwei Jahren eben auch Vorhaben liegen geblieben, die gut und sinnvoll gewesen wären, um das Leben der Menschen hier im Landkreis konkret zu verbessern – insbesondere derjenigen, die besonders auf öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur angewiesen sind. Das hatte natürlich jeweils gute Gründe – und doch erscheint es in der Summe bedenklich.

  • Anfang 2020 gab es Überlegungen, den Regionalbusverkehr zu kommunalisieren, um nicht nach jeder Neuvergabe den Zufällen der Ausschreibungsergebnissen ausgesetzt zu sein — aber dann kam Corona.
  • Der Antrag zu einer kreiseigenen Wohnungsbaugesellschaft ist zunächst coronabedingt monatelang liegengeblieben und jetzt offenkundig endgültig vom Tisch.
  • Der Vorstoß der Hörigemeinden zur Einführung eines Ein-Euro-Bustickets kam coronabedingt zur Unzeit und hat es nie zum Antrag geschafft.
  • Die Sanierung der Gemeinschaftsunterkunft in der Steinstraße hat sich solange verzögert, dass sie jetzt bei den wieder ansteigenden Flüchtendenzahlen nicht mehr erfolgen kann – und das, obwohl über die Unzumutbarkeit des derzeitigen Zustands Konsens besteht.
  • Unseren eigenen Dauer-Lieblingsantrag zu einem kreisweiten Sozialticket haben wir unter den gegebenen Umständen gar nicht erst erneut gestellt.

Wie gesagt, all das war im Einzelfall nachvollziehbar. Aber es handelt sich dabei um Maßnahmen, die zentrale Probleme unserer Zeit betreffen: Wohnen, die Unterbringung und Integration Geflüchteter und die angesichts des Klimawandel dringend erforderliche Förderung des ÖPNV.

Es ist unsere Aufgabe, für diese Felder überzeugende Lösungen zu entwickeln. Natürlich kann man dabei das Geld jeweils nur einmal ausgeben. Und natürlich lässt sich das verfügbare Geld weder durch Verschuldung, noch auf Kosten der Gemeinden beliebig erhöhen. Und bestimmt haben die unterschiedlichen Fraktionen dabei unterschiedliche Prioritätensetzungen.

Eben deswegen ist aber ein Prozess notwendig, der bei jeder Entscheidung Debatte, Abwägung und gegebenenfalls politischen Streit ermöglicht. Denn unsere Entscheidungen müssen sowohl für uns selbst als auch für die Bevölkerung nachvollziehbar bleiben.

Die Entscheidung, die Sanierung der Haldenwang-Schule, wo Schüler*innen in Containern unterrichtet werden, zu verschieben, erscheint offenkundig zumindest den Betroffenen nicht nachvollziehbar. Die Entscheidung, dass so frei gewordene Geld im Bauhaushalt zu belassen und für Maßnahmen der Priorität 5 zu investieren, erscheint mir in dieser Form nicht ganz nachvollziehbar. Natürlich stimmen wir dennoch zu, handelt es sich doch um Klimaschutzmaßnahmen. Nein, mir geht es um das Verfahren, dass mir zu spontan erschien, um ernsthaft darüber diskutieren zu können, ob dieses Geld für dieses Ziel an genau dieser Stelle am zielgerichtetsten investiert ist.

Genau solche Debatten brauchen wir aber – und sie sind nicht ad hoc bei der Haushaltsberatung möglich, wo sich auch auf den letzten Metern noch Verschiebungen ergeben. Wir müssen unsere Verfahren für das laufende Geschäft ändern und ich hoffe, die Vorschläge der Haushaltsstrukturkommission werden dabei helfen. Denn statt den Zufallen übriggebliebener Budgetmengen oder verfügbarer Fördermöglichkeiten steht dann ein Bezugssystem in Zentrum, das Einzelmaßnahmen auf übergeordnete Ziele hin perspektiviert.

Das muss natürlich alles noch konkretisiert werden. Aber schon jetzt hilft die Aufstellung der Ziele in der Strategietabelle zumindest die Aufmerksamkeit zu steuern: Wenn im Vergleich zum Vorjahr zehn Maßnahmen dem übergeordneten Strategieziel dienen, dass das Landratsamt eine „moderne dienstleistungsorientierte Verwaltung und ein attraktiver Arbeitgeber“ ist, aber nur eine den „gleichwertigen Lebensverhältnissen“, stimmt das zumindest mich nachdenklich.

Wir stimmen dem Haushaltsentwurf zu. Aber wir hoffen, im nächsten Jahr aus dieser Coronastarre – die natürlich zugleich eine Überbelastung ist – herauszukommen und uns wieder verstärkt unserer umfassenden Aufgabe zuwenden: das Leben der im Kreis Wohnenden zu verbessern, statt nur Schlimmeres zu verhindern. Dazu gehört insbesondere eine auf Prävention ausgerichtete Sozialstrategie. Denn auch wenn Corona dann irgendwann tatsächlich überwunden ist, werden sich die sozialen und psychologischen Folgewirkungen noch lange hinziehen. Und gerade hier gilt, dass abweichend von der Konzentration auf die blanken Zahlen wie sie in Haushaltssitzungen herrscht, es manchmal günstiger ist, Geld auszugeben statt zu sparen.

In diesem Sinne warnen wir auch vor den von einigen meiner Vorredner*innen beschworenen „schmerzhaften aber unumgänglichen“ Sparmaßnahmen im Gesundheitsverbund. Für uns bleibt die umfassende und wohnortnahe Gesundheitsversorgung unverhandelbar. Hier braucht es mehr finanzielle und zeitliche Puffer, nicht mehr Sparanstrengungen. Wie das angesichts von Corona fraglich sein kann, ist mir unverständlich.


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