Die Pandemie besiegen wir weltweit oder gar nicht. Wir bleiben dabei: gebt die Patente frei!

06. Februar 2022  Inland, International

In einer jüngst veröffentlichten Studie macht die NGO Oxfam auf die ungerechte Verteilung der Impfstoffe im weltweiten Maßstab aufmerksam. Der globale Süden, allen voran die Länder Afrikas, weisen einen enormen Rückstand in dem Impfstatus ihrer Bevölkerung auf. Gegenwärtig sind 80 % der Impfstoffe an die G20-Länder gegangen, und weniger als 1 % an jene Länder mit geringem Einkommen. So nimmt es sich nicht wunder, dass dem Wert von knapp über 60 % im Westen eine Impfquote von 8,9 % in den Ländern niedrigen Einkommens gegenübersteht. Zusammen mit ihrem britischen Pendant verweigert sich auch die neue deutsche Regierung hartnäckig allen Initiativen, den Patentschutz selbst für einen eingeschränkten Zeitraum auszusetzen.

Die hehren Ziele transnationaler Organisationen, die Impfmittel gerecht zu verteilen und allen Nationen dieser Erde die Chance zu geben, ihre Bevölkerung zu schützen, sind allesamt gescheitert. Leider hat es den Anschein, aus diesem Versagen würden keine Schlüsse gezogen und der Ruf nach der Freigabe der Patente würde wieder folgenlos verhallen. Der Schutz der Menschen wird weiter der Profitinteresse einzelner westlicher Pharmaunternehmen und dem ökonomischen Kalkül der verantwortlichen Politiker*innen hinten angestellt.

Dabei hatten sich die Zeiten eigentlich gewandelt, steht doch nun mit Robert Habeck ein progressiver Grüner und Parteigänger einer realistischen Revolution an der Spitze des Wirtschaftsministeriums. Leider wurde Habeck im Zuge seiner Amtseinführung offenbar eine transformative Erfahrung zuteil, in deren Folge sich seine Haltung von der Forderung der Freigabe der Patente in deren Gegenteil wandelte. Nun sollen sich die Länder des globalen Südens die Vakzine selbst beschaffen, gleichwohl, ganz im Geiste des solidarischen Humanismus, zum Selbstkostenpreis der Produzenten. Um die darbende hiesige Pharmaindustrie aber nicht im Regen stehen zu lassen, sei es dennoch geboten, der deutsche Staat kompensiere diese Großzügigkeit, indem er eine Ausgleichzahlung für die entgangenen Verluste an die Produzierenden übernehmei. Letztlich werde damit die Impfmittelverteilung der Marktlogik entrissen, und so die Versorgung gesichert. Im übrigen argumentiert die Entwicklungsministerin in analoger wirtschaftsfreundlicher Weise und ruft so eine gewisse wehmütige Erinnerung an ihren Vorgänger hervor.

Das führt nicht nur dazu, dass die Länder des globalen Südens nur Empfänger sekundärer Relevanz sind und sich die Produktion und Verteilung auf die lukrativen Märkte des Nordens hin ausrichtet, die auch die höheren Preise einer beständigen Anpassung an Mutationen zahlen können, die ärmeren Ländern müssen sich auch verschulden, Kredite aufnehmen und geraten so in Abhängigkeit von illustren Institutionen wie der Weltbank und der WTO. Weder werden wir so dem Anspruch gerecht, die Pandemie schnellstmöglich und weltweit zu beenden, aufgrund des ökonomischen Egoismus vornehmlich der deutschen und britischen Seite zwingen wir Länder so auch in wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse.

Die Freigabe der Patente wies ein Kommentar im Südkurier Anfang letzten des Jahres mit dem Hinweis zurück, dies sei der falsche Weg, Deutschland als Exportnation würde schon genug Impfstoff produzieren und dann das Übermaß als Geschenk freimütig an die bedürftigsten Länder spenden. Wenig überraschend ist es anders gekommen: Zwar wurden durchaus Impfstoffe verschenkt, aber offenkundig in einem viel zu geringem Maßstab. Zudem drohte Millionen gehorteter Impfdosen Ende letzten Jahres sogar die Vernichtung, und viel Impfstoff wurde zwar an die Länder des Süden gesandt, konnte aber von diesen nicht verwendet werden, da die Ablauffrist zu knapp war. Ferner verbieten die Verträge es Deutschland explizit, Vakzine zu verschenken, ohne den Pharmakonzernen nochmal Geld zu zahlen. Man muss die Pharmaindustrie fast schon bewundern für die Dreistigkeit, mit der sie Geld abschöpfen. Die Unternehmen, die sich vom Staat ihre Forschung haben finanzieren lassen, fordern nun das bis zu 24-fache des Produktionspreises. So macht Pfizer/Moderna gerade 1000 US-Dollar Gewinn – in der Sekunde.

Auch das andere Argument, demnach der südlichen Hemisphäre in toto die Befähigung abgesprochen wird, überhaupt moderne Impfstoffe herstellen zu können, hält sich hartnäckig, und passt sich gut in das unerschütterliche Afrikabild der bornierten bundesdeutschen Öffentlichkeit ein. Warum nun die hochentwickelten Pharmaindustrien Indiens oder Südafrikas dazu nicht in der Lage sein sollten, ist dabei ebenso ungewiss wie die Frage, warum wir denn in dem letzten Jahr nicht alles versucht haben, diesem Teil der Welt zu helfen, sich eben in jenen technologischen Stand zu versetzen, der ihnen die Produktion nach unserem Dafürhalten erlaubt? Auch die Studie, die mehr als einhundert Produktionsstätten für Impfstoffe in Asien, Afrika und Lateinamerika aufführt, steht offenkundig der Auffassung entgegen, nur der Westen sei befähigt, Impfstoffe zu produzieren. Die technischen Kompetenzen sind schon daran zu erkennen, dass südafrikanischen Wissenschaftlern jüngst selbst die Entwicklung eines mNRN-Impfstoffs in Kooperation mit der WHO gelungen ist, trotz dessen die Unterstützung durch die europäische Pharmaindustrie ausblieb.

Dem Geschmäckle, die eigene Wirtschaft auf Basis des Leids anderer zu fördern, scheint der öffentliche politische Diskurs so nur unzureichend entgegentreten zu können. Auch wenn sich Mainz nun mit dem Titel der „Apotheke der Welt“ schmückt und sich eifrig über die Milliarden von Steuereinnahmen freut, sollten wir uns bewusst bleiben, dass dieser Goldrausch darauf beruht, Menschen lebensnotwendige Güter teuer zu verkaufen.


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