
In diesen Tagen hat sich die Regierung durchgerungen, die Sanktionen des ALG I & II Systems teilweise auszusetzen. Dieser Entscheidung folgte die öffentliche Entrüstung wirtschaftsnaher Institute und Parteien, die durch die umgehende mediale Verbreitung ganz in ihrem Sinne bestärkt wurde. Dabei gilt die Aufhebung nur bis 2023 und umfasst nicht einmal alle Sanktionen.
Verstöße bei der Meldepflicht werden weiter geahndet, gleichwohl „nur“ mit maximal 10% des Regelsatzes, wie uns die bürgerliche Presse beruhigt. Leider ist die wirtschaftliche Situation jener Menschen, die trotz der drastischen Inflation mit gleichbleibenden Sätzen haushalten müssen, gar nicht so abgesichert, dass sie den Wegfall von 10% problemlos kompensieren könnten. Aber die existentiellen Auswirkungen der teils willkürlichen Sanktionen waren schon bislang kaum Anlass öffentlicher oder publizistischer Sorge. Immerhin müssen die Menschen nun vorerst nicht mehr jeden Job annehmen und können die teils unnützen Qualifizierungsmaßnahmen ablehnen oder abbrechen. Gewiss ist dies ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Das traurige Spiel ist jenes der Öffentlichkeit, die eine tiefe Angst vor arbeitslosen Menschen entwickelt zu haben scheint, die sie vornehmlich aus den entsprechenden medialen Zerrbildern kennen. So denken wir mittlerweile offenkundig, ein Mensch im Hartz VI System ähnelt weniger uns, unserem Verhalten und unseren Wertmaßstäben als jenen Figuren, deren malizöses Treiben von der Bild“Zeitung“ und den exklusiven „Reportagen“ von RTL II in groben, fast comichaften Pinselstrichen gezeichnet wird. Die Vorstellung, arbeitslose Menschen wären so wir oder bräuchten in Notsituationen schlicht Hilfe, ist anscheinend mittlerweile ein Fall sozialer Romantik. Die Chiffre der sozialen Hängematte hat aber schon seit einer ganze Weile kein Pendant mehr in der Realität. Das Regime der Arbeitsagenturen basiert auf Druck und Angst, auf Bürokratismus, permanentem Stress und der Bedrohung für die Betroffenen, ins Bodenlose zu fallen. Diese Kritik richtet sich keineswegs gegen die Mitarbeitenden, die oft selbst unter den Bedingungen leiden. Nein die Struktur selbst ist boshaft, weil sie Menschen schikaniert, herabwürdigt und auf Daten in ihrer “Erfolgsstatistik” reduziert. Wie an der schieren Zahl erfolgreicher Einsprüche deutlich wird, ist auch die Arbeitsweise dieser Agentur mangelhaft und setzt zugleich ohnehin schwer belastete Menschen dem langen und komplizierten Wegen der Juristerei aus, nur um im Zweifel Kosten zu sparen.
Das strukturelle Problem ist, dass das Fordern allein im Zentrum steht und das Fördern eine Randexistenz fristet. Arbeitslosigkeit ist zu einer Folge individuellen Fehlverhaltens geworden, einer charakterlichen Schwäche und Leistungsverweigerung. Folglich muss einfach Druck auf jene Personen erhöht werden, und schon finden sie ihren Platz in den offen Armen des freien Marktes. Natürlich ist das Unsinn, doch hat er massive Folgen. Denn das Prinzip des Forderns ist tragender Teil des Niedriglohnsektors, da es Menschen vollkommen ungeachtet ihrer persönlichen Qualifizierungen, Interessen und Bedürfnisse mit dem Fallbeil der Sanktionen in Berufe zwingt. Demgegenüber zeigen die Praktiken des Förderns klare Mängel: Ist einerseits der Erfolg der sachfremden und unproduktiven Coachings minimal, so werden andererseits passende Weiterbildungen aufgrund von Kostenerwägungen verweigert. Die Menschen werden in diesem System nicht aufgefangen, sondern massivem Druck ausgesetzt, der ihre psychische Belastung nur vergrößert. Auch wenn sich die Sozialdemokratie bis heute dafür feiern lässt, sind die Erfolge der Agenda-Politik doch mit dem Leid der Betroffen finanziert. Zudem hat die Reform ihr eigentliches Ziel, den Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit, verfehlt, bleibt diese doch stabil: Viele Arbeitslose werden einfach kurzweilig in prekäre Beschäftigungen oder unnütze Maßnahmen gedrängt und kommen dann bald zurück. Dieser Teufelskreis aus schlechter Arbeit und Ausgrenzung wird von den Arbeitsagenturen eben nicht bekämpft, sondern bisher über die Sanktionsmittel gefördert. Der elende Zwang, eine vollkommen sinnlose Schulung über sich ergehen lassen zu müssen, nur weil die finanziellen Folgen einer Weigerung desaströs sind, kann nur schwerlich als ein erfolgreicher Ansatz sozialer Arbeitsmarktpolitik gelten.
Aber warum sprechen wir solange von einem System, auf dessen Ende sich die Zukunfts-Koalition schon geeinigt hat? Weil dieses System der Sanktionen und des Niedriglohnsektors keineswegs überwunden ist, sondern im geplanten Konzept des Bürgergeldes fröhliche Urstände feiert. Auch wenn man sich kurz mit den Grünen über ihren Sieg freuen mag, und vor allem über die Entlastung der Betroffenen, so ist dies doch ein kurzfristiger und flüchtiger Erfolg. Letztlich ist recht dubios, warum die Sanktionen zwar jetzt aus Gründen wegfallen, dann aber mit dem Bürgergeld wieder eingeführt werden. 30% Abzug von einem Existenzminimum hungert Menschen aus oder sperrt sie ein oder lässt sie frieren. Letztlich ist es doch nur eine Form Focaultscher Disziplinierungsagenturen, die Menschen durch Zwang und strukturelle Gewalt aber nicht nicht normalisieren, sondern als Surplus in das Ausbeutungsregime eines neoliberalen Arbeitsmarktes drängen. Es ist die alte Frage, was einen wütender macht: Die Arroganz und der elitäre Chauvinismus der Apologeten eines inhumanen Liberalismus oder die Halbherzigkeit sozialpolitischer Verbesserung, die auf Sand gebaut sind, der dann in der Augen der Öffentlichkeit gestreut wird. Was wir brauchen ist eine echte, langfristige und tiefgreifende Veränderung der Arbeitsmarktpolitik, die nicht nur den Niedriglohnsektor mit all seinen Folgen (auch für Rente) zurückdrängt, sondern auch den arbeitslosen Menschen mit Respekt und Würde begegnet.
zum weiterlesen: „Hartz-IV-Sanktionen abschaffen, nicht aussetzen“ von Inge Hannemann
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