
Die Regierung plant massive Einschränkungen beim Asylrecht. Und wieder sind es nicht die Christdemokraten mit ihrem vorgeschützten Wertekompass, sondern die in diesen Tagen ach so stolze Sozialdemokratie in Kooperation mit den Grünen und der FDP.
Die eine oder der andere wird sich an die Mitte der neunziger Jahre erinnern, in denen nicht nur Flüchtlingshäuser brannten, sondern sich die Union auch daran machte, die ersten Grundpfeiler der Erfahrungen des Zweiten Weltkrieg auszureißen, und die SPD dies Vorhaben auch noch willfährig unterstützte. Der Asylkompromiss bewog damals Günther Grass aus der SPD auszutreten: In diesen Tagen scheint kein überzeugter (bzw. durch seine eigene Biographie überzeugter) Humanist mehr in den Parteien der Ampel übrig, der auch nur auf die Idee kommen könnte, seine Partei zu verlassen…
Aber was würde sich durch die neuen Regulierungen ändern, die Deutschland auf der Ebene der EU unterstützt? Unter dem Deckmantel geregelter Einwanderung sollen die Probleme wieder auf die Länder an der EU-Außengrenze verschoben werden: Das Dublin-Abkommen, offenkundig bereits gescheitert, wird hier wieder zu einem Scheinleben erweckt. Das Problem dabei ist, dass Dublin nur dann funktioniert und die äußeren Länder nicht überfordert, wenn es solidarische Verteilschlüssel gibt. Dafür müssten sich die Länder einigen, wonach es aber nicht aussieht. Die Flut an rechtsgerichteten Regierungen in Europa, die zumeist eine antimigrantische Agenda als parteipolitische Programmatik aufweisen, werden sich wohl kaum kompromissbereit zeigen.
Noch problematischer ist aber die Errichtung eines Grenzregimes: War die EU bislang schon wenig zimperlich, wenn es um das Leben migrantischer Personen ging, die ihr Glück über das Mittelmeer – oder auch die belarussisch-polnische Grenze – suchten, so gehen die Vorhaben hier noch weiter. In letzter Konsequenz verlangen die Pläne Flüchtlingslager an den EU-Außengrenzen, und zwar von einer immensen Größe. Das Problem ist das geltende Asylrecht auf europäischer Ebene, das – als Lehre aus der Geschichte – formal nicht angetastet werden soll, aber durch Winkelzüge unterminiert wird. Nach diesem hat ein Mensch, der europäischen Boden betritt, nicht nur das Recht auf ein adäquates Asylverfahren und die rationale Begründung der entsprechenden Entscheidung, sondern sogar die Möglichkeit, juristisch gegen diese vorzugehen.
Wenn er europäischen Boden betritt! Die Vorschläge sehen eine Art Schröderinger-Flüchtling vor, der sich zwar unter der Jurisdiktion europäischer Asylinstitutionen befindet, aber noch nicht auf europäischen Boden. Um Menschen ihre vollen Rechte vorzuenthalten wird das Asylrecht ausgehöhlt, ohne es formal zu ändern. Es geht aber weiter: Weil es darum geht, dass die Menschen außen bleiben, muss ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, woraus folgt, dass die Flüchtlinge während ihrer Asylverfahren eingesperrt werden müssen. Wie wir an Lesbos und anderen Beispielen gelernt haben, ist die EU wahrlich kein Garant für humane Lager. Zu guter Letzt: Die Distanz, die durch das extraterritoriale Asylregime installiert wird, macht es für zivilgesellschaftliche Institutionen nochmals schwieriger, die Einhaltung von Mindeststandards zu kontrollieren.
Es ist und bleibt ein schäbiger Vorschlag, der auf dem Rücken flüchtender Menschen das populistische Surrogat einer funktionierenden Innenpolitik errichten will. Geld ist da, es fließt aber nicht in die Kommunen, Unterkünfte oder Sprach- und Integrationskurse, sondern in Abschottung. Auch wenn wir die Ukraine als Verteidiger europäischer Werte feiern, geben wir selbst diese Werte jeden Tag ein wenig mehr auf. Wenn sich Konservative erdreisten, die Genfer Flüchtlingskonvention und die europäische Menschenrechtskonvention in Frage zu stellen und die Öffentlichkeit dies stillschweigend hinnimmt, dann haben wir einen Punkt erreicht, an dem all die Sonntagsreden des Gedenkens als pure Heuchelei erscheinen.
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Bild von Kat Smith via Pexels
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